Streitfall Holodomor-Bericht: Nationalmuseum Kiew vs. Billy Six

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Rückmeldung Billy Six auf Gegendarstellung des Nationalmuseums (26.02.15) 

Sehr geehrte Damen und Herren,

vielen Dank für Ihr Interesse an meiner Recherche in der Ukraine. Was uns vereint, ist der Wunsch, dass die Millionen Hungertoten des Holodomor 1932/33 nicht vergessen werden.

Unterschiedlicher Auffassung sind wir in der Bewertung der US-amerikanischen Unterstützung „des Projekts“, wobei damit im Text nicht das Museum allein gemeint ist, sondern die Sichtweise, der Holodomor sei ein Völkermord Russlands an den Ukrainern gewesen.

In der Tat sind die Formulierungen „mit Hilfe der USA 2008 errichtet“ und „großzügige Förderung des Projekts durch amerikanische Organisationen und die US-Botschaft“ unglücklich, da sie den Schluss zulassen, die US-Regierung habe das Museum finanziert. Zu Recht verweisen Sie darauf, dass dies nicht der Fall ist.

Gemeint ist die politische Unterstützung aus den Vereinigten Staaten. Die USA waren 1988 das erste Land der Erde, welches den Holodomor als Völkermord anerkannt hat – also noch 3 Jahre vor der Unabhängigkeit der Ukraine. 2006 stellte Präsident Bush der ukrainischen Regierung öffentliches Bauland in Washington für ein Mahnmal zur Verfügung, „um die Opfer des Hunger-Völkermords 1932-33 zu ehren“ (Public Law 109-340).

Am 23.09.2008, also kurz vor der Einweihung des Kiewer Museums, verabschiedete das US-Repräsentantenhaus eine „Resolution, welche die Informationsverbreitung über die ukrainische Hungersnot (Holodomor) fördert, um das Wissen in der Welt über diese menschgemachte Tragödie auszuweiten“ (H. Res. 1314).

US-Botschafter John F. Tefft besuchte im Dezember 2009 gleich im Anschluss an seinen Antrittsbesuch beim damaligen Präsidenten Juschtschenko Ihr frisch gegründetes Museum. Im Juli 2010 folgte US-Außenministerin Hillary Clinton. Im Sommer 2014 wurde die Ausstellung „Amerikanische Unterstützung für die Hunger-geplagte Ukraine 1921-1923“ in Ihrem Museum präsentiert, gefördert von der US-Botschaft.

Im “Who is Who” der Holodomor-Forschung tauchen mehrheitlich US-Historiker auf wie zum Beispiel Yaroslav Bilinsky, James Mace, Norman Naimark, Mark Tauger, Steven Rosefielde oder Timothy Snyder.

Der von mir befragte ukrainische Geschichts-Professor Wladimir Nikolsky berichtete ebenfalls, dass in den 90er Jahren viele amerikanische Forscher an den Holodomor-Gremientagungen teilnahmen. Er selbst half US-Forscher Hiroaki Kuromiya dabei, das Buch „Freedom and terror in Donbas“ zu schreiben – finanziert vom „Renaissance-Fund“ des US-Milliardärs George Soros.

Anders als in Deutschland ist der Holodomor in der politisch-intellektuellen Klasse Amerikas ein gängiges Thema. Belege dazu füge ich Ihnen im Anhang bei.

Ich bin positiv überrascht, dass es nun offenbar noch andere Zeitzeugen gibt, mit denen das Museum in Kontakt steht. Ich bin Ihnen dankbar für den einen vermittelten Kontakt, auch wenn es trotz mehrerer Anläufe mit Übersetzer nicht zu einem Treffen gekommen ist. Über den im Text benannten Grund hatte ich Sie bereits am 24.10.2014 per e-Post in Kenntnis gesetzt. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mir den Kontakt zu dem neuen Personenkreis an Augenzeugen eröffnen könnten. Mein Interesse am Thema ist ungebrochen.

Es tut mir leid, wenn bestimmte Passagen meines Berichts persönliche Betroffenheit ausgelöst haben. Das war nicht die Absicht. Meine Besuche bei Ihnen behalte ich in guter Erinnerung.

Mit freundlichen Grüßen

Billy Six

Ergänzende Belege dafür, dass amerikanische Organisationen und die US-Botschaft das Gedenken an den Holodomor als Völkermord politisch unterstützen:

http://www.unian.info/society/148386-holodomor-resolution-passes-us-house-of-representatives.html

http://en.wikipedia.org/wiki/International_Commission_of_Inquiry_Into_the_1932%E2%80%9333_Famine_in_Ukraine

https://usembassykyiv.wordpress.com/category/holodomor/

http://ukraine.usembassy.gov/statements/holodomor-2014.html

http://www.usukraine.org/holodomor-ukraine022011.shtml

http://en.dmitryfirtash.com/event/holodomor_memorial_to_be_erected_in_washington_dc

http://www.theepochtimes.com/n2/world/communism-still-not-dead-37257.html

http://www.usubc.org/news/ukrainebusinessnewstenarticles_01062010.php

 

Gegendarstellung des National-Museums (31.01.15)

Sehr geehrte Redaktion,

Wir als Mitarbeiter des Nationalmuseums “Memorial für Opfer der Hungerkrisen in der Ukraine” in Kiew waren überrascht, als wir den Artikel “Stalins schweres Erbe” (S.8, Nr.4/15, 16. Januar) lasen. Der Autor des Artikels (Herr Billy Six) hat tatsächlich unser Museum zweimal (im Sommer und im Herbst 2014) besucht und mit unserer Kollegin geredet. Trotzdem entspricht einige Information im Artikel leider nicht der Wahrheit.

  1. Laut der Artikel wurde das Museum „mit Hilfe der USA“ errichtet, was ganz bestimmt falsch ist.  Das Museum wurde laut der Anordnung des Ministerkabinetts der Ukraine gegründet und immer nur von dem staatlichen und städtischen Budget finanziert.
  2. Wir sind mit der Behauptung, dass unsere „adrette Ausstellunsführerinnen kein English sprechen“ nicht einverstanden, da eine unserer Ausstellunsführerinnen zweimal mit Herrn Six genau Englisch gesprochen hat. Unser Museum bietet Führungen in Ukrainisch, Russisch, Englisch und Deutsch an.Außerdem spricht die Kollegin, mit der Her Six geredet hat auch Japanisch.

Das Museum wurde auch mehrmals von offiziellen Delegationen (Präsidenten und Ministerpräsidenten  anderer Länder, Mitglieder der Königsfamilien, Vertreter des Klerus) besucht. Für die meisten von ihnen haben unsere Mitarbeiterinnen Führungen in englischer Sprache durchgeführt.  Deshalb sind wir empört, dass man bei uns laut dem Artikel keine Fremdsprachen kann.

  1. Daraus folgt eine weitere Behauptung – „die Ausstellunsführerinnen können kein Englisch – und dies trotz großzügiger Förderung des Projekts durch amerikanische Organisationn und die US-Botschaft“. Darauf möchten wir erwidern, dass die einzige Unterstützung, die „das Projekt“ (d.h. das Museum) je von der Botschaft der USA erhalten hatte, war die für die Ausstellung „Amerikanische Hilfe für die hungernde Ukraine. 1921-1922“, die über die Hilfe der amerikanischen Wohltätigkeitsorganisationen zur Zeit des ersten Holodomors (der ersten Hungerkrise) in Jahren 1921-1922 erzählt. Diese Ausstellung wurde im Sommer 2014 präsentiert, und musste noch in der Halle gewesen sein, als Herr Six uns besuchte. Doch sie gehört ganz bestimmt nicht zu unserer ständigen Exposition. Weder vorher noch danach hat das Museum andere Förderung von der US-Botschaft erhalten.
  2.  Außerdem schreibt Herr Six, dass „die einzige Zeitzeugin (d.h. Zeugin der Hungernot von 1932-1933), mit der die Ausstellung in Kontakt ist, fürchtet sich vor einem Gespräch“.  Das stimmt auch nicht  so ganz. Die Frau, deren Kontakt unsere Mitarbeiterin Herrn Six gegeben hat, fürchtet nicht, von Holodomor (von der Hungerkrise) zu sprechen. Das Problem liegt aber darin, dass sie schon fast 90 Jahre alt ist, hat Probleme mit der Gesundkeit und kann nur bei ihr zu Hause Interview geben (wenn überhaupt).

Aber sie ist ganz sicher nicht die einzige Zeugin, die am Leben ist. Es leben noch Hunderte von Menschen, die die Hungerkrise der 1930-er überlebt haben. Manche kommen zu uns sogar selbst, um mit uns ihre Errinerungen zu teilen. Z.B., vor ein Paar Monaten haben wir hier im Museum ein Video mit Herrn Mykola Onischtschenko aufgenommen, der 1925 geboren wurde, aus Luhansk stammt und jetzt als Flüchtling in Kiew bei seinen Kindern wohnt. Außerdem verfügt das Museum über eine Sammlung von Briefen, Audios und Videos, wo die Zeugen aus verschiedenen Gebieten der Ukraine gern beliebige Fragen beantworten und ihre Lebensgeschichte teilen. Heute ist die Sowjetära längst vorbei, es gibt kein Tabu auf die Wahrheit – man spricht über die Hungerkrisen öffentlich, ohne vor etwas Angst zu haben.

Natürlich respektieren wir das Recht auf Meinungsfreiheit und verstehen, dass jeder eigene Interpretation haben kann, aber wir können nicht still bleiben, wenn die Wahrheit verdreht wird.  Deshalb möchten wir Sie bitten, diesen Brief als eine Antwort auf jenen Artikel zu publizieren.

Hochachtungsvoll,

Mitarbeiter des Nationalmuseums

 

Veröffentlichung in der Wochenzeitung JUNGE FREIHEIT (16.01.15)

–> https://phinau.de/jf-archiv/archiv15/201504011625.htm

… und …

–> Stalins langer Schatten – auf der Suche nach den letzten Zeugen des Holodomor (2014/15)

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