Mitte April 2011: Die 150 Kilometer lange Strecke von Bengasi in die Front-Stadt Aschdabija ist von Dutzenden ausgebrannten Fahrzeugen gesäumt. Vereinzelt handelt es sich um Panzer und schwere Artillerie, sowie Radaranlagen der Gaddafi-Truppen, die von französischen und amerikanischen Kampfflugzeugen getroffen worden sind. Es scheint sich hierbei um recht präzise Angriffe gehandelt zu haben, als vor 3 Wochen die Luftoperation über Libyen begonnen hat. In der Folge wurden Gaddafis Truppen wieder über 150 Kilometer von der Rebellenhochburg Bengasi weggedrängt. Die viel beschworenen Verteidigungsstellungen entlang dieser Trasse sind jedoch bis auf eine Zeltstadt mit einem Dutzend Rebellen nicht zu sehen. Journalisten vermelden unter der Hand, es würde gar keine geben.
In Aschdabija selbst sind die Spuren der gestrigen Straßenkämpfe noch sichtbar. Es handelt sich um eine Geisterstadt, die Bürger sind Richtung Bengasi oder Tobruk geflohen. In vielen Gebäuden sind Einschusslöcher zu sehen. Die Straßen … mit Splittern gesäumt. Entscheidend ist jedoch: Aschdabija befindet sich wieder unter Kontrolle der Revolutionäre. Am westlichen Stadttor sind Dutzende Rebellen versammelt. Sie haben Raketenwerfer und Flugabwehrstellungen. Mit neuen Ferngläsern beobachten sie die Wüste. Der letzte Angriff Gaddafis kam von der Seite. Die Lage ist ruhig, aber angespannt. Die Frontlinie sei 80 Kilometer weiter westlich, vermelden die Kämpfer. Doch inwieweit das stimmt, ist nicht zu beurteilen.
Der nächste Tag: Langsam kehrt das Leben nach Aschdabija zurück. Zwar sind alle Läden weiterhin geschlossen, aber vereinzelt laufen Menschen wieder durch die Straßen. Einige Kinder posieren für ein Foto auf einem ausgebrannten Panzer. Am Westtor herrscht ausgelassenere Stimmung als gestern. Die Zahl der Kämpfer hat zugenommen. Die Zahl der improvisierten Artillerie-Autos auch. Die Verantwortlichen am Wüstenvorposten geben jetzt offen zu, dass sich bis auf ein paar versteckte Freischärler keine weiteren Truppen der Revolution westlich von Aschdabija befänden. Damit ist der Kampf mit der Armee Gaddafis faktisch zum Erliegen gekommen. So ist klar, warum keine Ambulanzen und Versorgungs-Fahrzeuge mehr das West-Tor in Richtung Ölhafen Brega passieren … und die Gaddafi-Armee aus der Wüste von 20 bis 40 Kilometer Entfernung sporadisch Granaten auf Aschdabija feuert. Die Rebellen üben ausgelassen Schießmanöver in der Wüste. Es knallt laut. Wenig später sind die Kampfflugzeuge der NATO zu hören – alles flieht zurück nach Aschdabija. „Freundliches Feuer“ liegt wieder einmal in der Luft. „Die NATO ist jetzt endlich wieder aktiv geworden“, sagen die Kämpfer. Sie würden Gaddafis Truppen nun wieder massiv angreifen. In ein bis zwei Tagen, so sagen sie, könne man wieder einen Vormarsch wagen. Doch mit Blick auf die gesamte Rebellenarmee wird deutlich, dass von der viel gepriesenen professionellen Fronttruppe nichts zu sehen ist. Es ist und bleibt ein bunter Haufen aus Arbeitern, Ingenieuren, Lehrern und Studenten, die zum ersten Mal im Leben eine Waffe in der Hand halten. Es eint sie der Glaube an Allah und die Freiheit – weniger das Kommando von General Abdul Fattah Junis.
Anmerkungen Juni 2012: Am Todesstoß gegen die Gaddafi-Armee von August bis Oktober 2011 hatten die ost-libyschen Kämpfer keinen regen Anteil. Dies übernahmen Milizen aus Misratah und den Berber-Gebieten. Was lange nicht gesehen wurde: Die Familienklane der Cyrenaika wollten sich nicht an den Auseinandersetzungen im Westen beteiligen … Jahrhunderte alte Konflikte liegen in der Luft. Offenbar dachte „Rebellen-General“ Fattah Jounis ähnlich – er starb am 28.07.2011 durch ein nicht geklärtes Attentat.