Krieg kennt keine Grenzen

Mai/Juni 2011: Als Ausländer hat man gegenüber den Bürgern von Misratah einen gewaltigen Vorteil: Die schnelle Möglichkeit zur Abreise. Die Chance, sich von Tod und Zerstörung zu erholen … Libyen kommt nicht zur Ruhe. Dennoch hat sich von der Rebellenhochburg Bengasi bis nach Ägypten eine friedliche, man könnte auch sagen freiheitliche Ordnung etabliert. Aller Probleme zum Trotze: Selbst bei nächtlichen Ausflügen ist mir hier nie etwas zugestoßen.

Szagar Adam al Jeruschi, Luftwaffen-General (31.05.2011)

Um so überraschender waren nun die Ereignisse in Tobruk, im äußersten Osten des Landes … eigentlich weit weg von der Front in Mittel-Libyen. 8 Grad-Raketen schlugen um den Flughafen herum ein! Abgefeuert aus der Wüste. Von den Medien kaum beachtet – schließlich floss kein Blut. Dennoch handelt es sich um ein Novum. Die Mittelmeerstadt, einst Schlachtfeld im Zweiten Weltkrieg zwischen Rommel und Montgomery, hat sich im Februar komplett von der Gaddafi-Regierung losgesagt. Selbst Polizei und Armee wechselten dabei die Seiten.

Einer von ihnen: Szagar Adam, 64jähriger General-Brigadier der Luftwaffe. Er führt Kommando über Al Adam, dem zivilen und militärischen Teil des Flughafens. „Ich habe Gaddafi 1969 zugejubelt und seit dem 23. Lebensjahr in der Armee gedient“, sagt der kräftig gebaute Mann. „Gaddafi hat Amerikaner, Briten und Italiener aus dem Land geschmissen – und unsere Souveränität gesichert. Er sorgte für kostenlose Krankenhäuser und Schulen. Frischer Wind mit einem 27jährigen Staatschef. Aber das war’s. 1977 zwang er uns seine sozialistische Jamaharija-Idee auf. Die Fehler häuften sich. Sinnlose Kriege gegen Ägypter, Tschader und Ugander. Wofür? Jeden Tag neue Befehle und Ideen. Am Ende setzte er auf Söldnertrupps und ließ die reguläre Armee verkommen – schau sie Dir an, unsere Flugzeug-Wracks. Wer nicht mitjubeln wollte, wurde ermordet. Ich bin ein alter Mann, aber unsere Facebook-Jugend ließ sich das nicht mehr gefallen.“

In Reih und Glied – eingesammelte Grad-Trümmer im Hauptquartier (31.05.2011)

Wir begutachten die Schäden unter der grellen Sonne. 7 Löcher auf Ödland. Ein Einschlag in einem Neubau. „Das waren keine Profis“, meint der Militär bestimmt. „Wir haben es hier mit der Fünften Kolonne zu tun.“ („Tabhur Chams“) Gefangen hat man niemanden. Alles bleibt nebulös am Rande der Libyschen Wüste. Um so mehr, als Nachts erneut eine heftige Explosion uns alle auf die Straße treibt – vor Szagars Haus ist eine Bombe explodiert! Der Chef war gerade in der Stadt, niemand kam zu Schaden. Nach Sonnenuntergang revolutionsgemäß ganz ohne Uniform unterwegs, begutachtet der General sein zerstörtes Tor: „Solange Gaddafi im Lande ist, gibt es fuer niemanden Sicherheit. Aber wir haben keine Angst!“

 

Anmerkungen Juni 2012: Nach Auskunft des libyschen Botschafters in Deutschland (Aly al Kothany) soll Szagar Adam mittlerweile die gesamte Luftwaffe des „Neuen Libyen“ führen. Warum die Staatsmacht Ende Februar 2011 so schnell aus Tobruk verschwunden war, hat sich mittlerweile auch ein wenig aufgeklärt: Die stationierten Soldaten und Polizisten gehörten allesamt den ortsansässigen Familienstämmen an, vor allem den Obeidis. Es waren die Ost-Stämme, die den Aufstand gegen Gaddafi begonnen haben. Und schließlich war es General Fattah Jounis al Obeidi, der als Innenminister den Befehl ausgab, die Waffen zu strecken. Ernste Hinweise deuten darauf hin, dass diese Verkündigung vor laufender Kamera erzwungen gewesen ist. Jounis fiel am 28.07.2011 einem mysteriösen Attentat zum Opfer.

 

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