Ein wenig Knallerei, 10 verschiedene Rebellenfraktionen, wirre
Interessenlagen. Man könnte es beruhigt dabei belassen – schließlich
sind die südost-libyschen Kufrah-Oasen nicht der Nabel der Welt … Aber
ein Problem für die Welt ist dieser abgelegene Sahara-Ort früher oder
später schon. Nach Angaben aus der Rebellenhochburg Bengasi
passierten bis Kriegsausbruch 60 % aller Libyen-Migranten aus
Schwarzafrika das 40.000-Einwohner-Nest. Fluchtweg in die EU. Italien
hatte das Problem erkannt. Reichlich Geld floss an Muammar Gaddafi, um
dem Ansturm Tausender aus Tschad, Sudan und dem Horn von Afrika
Einhalt zu gebieten. Wie zu hören ist, waren italienische Experten bis
zur Februar-Revolution selbst vor Ort. Ihr Ziel: Der Aufbau wirksamer
Überwachungsanlagen für die weite Grenze – nun nichts mehr als eine
Fata Morgana.
Die Rebellen des „17. Februar“ sind die neuen Herren im Wahad, der
südlichen Cyrenaika. Abdul Salaam al Sway ist einer von ihnen. Mit 6
Geländewagen setzt sich die kleine Gruppe unter seiner Führung in
Bewegung. Jeder westliche Beobachter sei herzlich willkommen –
schließlich wolle man demonstrieren, dass die Rebellen ernst machten mit
dem Stopp der illegalen Einwanderung. 50 Kilometer geht es in die flache
Sandwüste. Dann fallen Schüsse. Ein weißer Toyota – umstellt! 19 Schwarzafrikaner auf der engen Ladefläche. Unter dem Eindruck der gerichteten Gewehre werfen sie sich auf den weichen Boden. Die 10 Männer und 9 Frauen stammen aus Somalia. „Wir flohen vor Krieg und verrueckten Moslem-Milizen“, so der 16jährige Student Mohammed Socdaal, der aber auch auf eine aussichtsreiche finanzielle Zukunft in Europa hofft. Mit einem ruppigen Schlepper seien sie von der sudanesischen Grenze in rund 5 Stunden hierher gekommen, sagen sie. Der Fahrer ist Libyer. Ein beleibter Mann mit Kopfschal nimmt sich den Mann zur Brust. Die Kalaschnikow wird durchgeladen und an die Schläfe gedrückt! „Nein, lass ihn“, rufen die Rebellen-Kameraden. „Gnade vor Recht!“ Der Schlepper darf von dannen ziehen – allein.
Der scheinbar konsequente Vollstrecker ist Jahd al Sway. Der wahre
Chef. Dem „Paten“ gehören die Fahrzeuge der Truppe. Mit diversen
Schiebereien habe er es zu Vermögen gebracht, ist später andernorts
zu hören. Dann sei er im Knast verschwunden – und erst in „der neuen
Zeit“ wieder aufgetaucht. Fragen bleiben: Wieso ließ man den
Menschenschleuser mitsamt seiner 3.000 US-Dollar Einnahmen
davonfahren?
„Nicht alles läuft perfekt“, meint dazu Isa Abdul Majid al Tobawieh,
neuer Grenzbeauftragter für Al Kufrah. Der Angehörige des
schokobraunen Tobou-Stammes sitzt in makellosem Anzug in seinem
Büro. 12 Jahre hat er im norwegischen Exil gelebt, jetzt ist er
„Feuerwehrmann“ für die Wüste. Im Auftrag der Rebellen-Regierung
von Bengasi. „Mit 80 Wagen könnte ich alle Probleme lösen – illegale
Einwanderung, Waffenschmuggel und Drogentransporte.“ Viel sei ihm versprochen worden, aber nach wie vor sitzt er auf vielleicht einem Dutzend Fahrzeugen. Gerade mal den Stadtrand kann die Grenzarmee derzeit bewachen. An die echten Brennpunkte zum Sudan und Tschad traut sich ohnehin kein Aufständischer heran, seit sich die Milizen der „Gerechtigkeits-Bewegung“ aus Darfur auf libyscher Seite breitgemacht haben. Was der oberste Bevollmächtigte nicht sagt: Alle seine Soldaten gehören der gleichen Familie an, den Tobou. Die arabischen Sway
dagegen wollen mit Isa nichts zu tun haben. Und sie stellen die Mehrheit in Kufrah.
Keine Frage: Derzeit kann sich ein Jeder nach Gutduenken betätigen –
solange das Maß nicht überschritten wird. Die jungen Leute aus Somalia
sind mittlerweile in eine Baracke verfrachtet worden. Sie werden gut
versorgt, sind aber mit den Nerven am Ende. Eine halbe Stunde vor der
Festnahme habe ihr Schlepper gestoppt. Erneut wildes Gestikulieren und
böse Drohungen gegen die ungeliebten „Gäste“ und ihrer „geringen
Zahlkraft“. Ein Gespräch mit dem Satellitentelefon. Und ein Datenaustausch. Ein Blick in die eigene Digitalkamera bringt
Überraschendes ans Sonnenlicht: Zur selben Zeit telefonierte auch ein Anderer – Jahd al Sway.