Juni/Juli 2011: Endlich! Trotz des Krieges: Ein wenig Romantik … Wie funkelnde Diamanten kleben die Sterne am nächtlichen Himmelsfirmanent. Eine rot glühende Sternschnuppe rauscht vorrüber. Für derartige Anblicke muss man weit fahren. Sehr weit. Mitten in die menschenleere Sahara Libyens. 1.000 Kilometer südlich der Oppositionshochburg Bengasi liegt die Palmen-Oase Rebianah. 3.000 Menschen leben hier, dicht bedrängt von den bedrohlichen Sanddünen – und derzeit ohne Strom.
Man fragt sich, wieso Geländewagen und Laster der Aufständischen sich ausgerechnet
hier sammeln. Die ein Dutzend Bewaffneten sind kaffeebraune Libyer vom
Volke der Tobou. Auf 350.000 Menschen wird ihre Gemeinschaft gezählt
– grenzübergreifend, in Libyen, Tschad und Niger haben sie ihr Zuhause.
Seit der Februar-Revolution befinden sie sich im Krieg gegen Muammar al
Gaddafi. „Wir werfen ihm vor, dass er über Jahrzehnte unsere Kultur zu
zerstören suchte. Wir mussten Araber werden oder am Rande der
Gesellschaft leben“, sagt Idris Mousa al Tobawieh. Der 51jährige, mit
traditionellem Namen Bannai Tobawieh genannt, ist Anführer der Gruppe
„Märtyrer Ahmed Scharif“. Hier zwischen Lehmhütten und
Dattelpalmen bereitet eine Vorhut eine Unterstützungsmission für die
Brüder im süd-westlichen Fessan vor. 800 Kilometer Luftlinie
Entfernung … dazwischen keine Menschenseele! Tobou-Milizen hätten im
anderen Landesteil die Oase Gatroun und den Militärflughafen Al Wyg
unter ihre Kontrolle gebracht – und damit theoretisch auch den
Durchgangsverkehr Richtung Niger. Ein schwerer Schlag für die
Gaddafi-Streitkräfte, die seitdem erfolglos immer wieder zu
Gegenangriffen ansetzten. Aber selbst in der Fessan-Hauptstadt Sabha,
einer der Bastionen Muammar al Gaddafis, brodele es, so Kommandeur
Idris. In Nacht-und-Nebel-Aktionen käme es dort immer wieder zu
Feuergefechten mit Truppen der „Khataib“. Die westlichen Medien
nehmen von den Vorgängen, so fern der Mittelmeer-Küste, keine Notiz.
„Aber“, so gibt er ehrlich zu, „wir haben in der Metropole einen
schlechten Stand“. Die Klans der Gaddaffa, Magarha, Warfalla und
Hassauna stünden hinter dem alten „Revolutionsführer“.
Selbstkritische Worte. Eine Seltenheit bei den libyschen Rebellen. „Wir
sind eben anders“. Einem Nordafrikaner, der Beethoven und Bach lauscht,
glaubt man dies gerne. Aber immerhin: Dass die Tobou ihre Brigade nach
einem weißen Krieger des 20. Jahrhunderts benannt haben, ist in Libyen
eine große Geste. In der Hauptkeimzelle des Wüsten-Widerstands, Al
Kufrah, 120 Kilometer östlich von Rebianah gelegen, arbeiten ihnen sogar
einige der sonst verfeindeten Sway zu. Das sind Araber, und die stellen
die Mehrheit in den Kufrah-Oasen. In der Vergangenheit gab es jedes
Jahr Tote durch Straßenkämpfe zwischen beiden Gruppen, wird berichtet. Die Polizei habe stets zugunsten der Sway eingegriffen, ist von beiden Seiten zu
hören. Doch im Moment scheint … wie durch ein Wunder … zumindest an dieser
Front Ruhe zu herrschen.
Die jungen Freiwilligen lächeln elegant. Dank ihrer „Obama-farbenen“ Haut
glänzen die Zähne um so weißer im Sonnenlicht. Barack Obama – den
Vergleich mögen sie hier. Der Westen ist bei ihnen angesehen. Einige
sprechen Englisch oder Französisch. „Überhaupt, wir sind keine echten
Afrikaner“, gibt der alte Mahmoud al Tobawieh, ein Aufseher im weißen
Dschalabija, zu bedenken. „Zwar sind wir gute Muslime – aber unsere
Wurzeln sind die gleichen wie jene der Tigray von Äthiopien oder der
Tutsi von Ruanda. Der antike Nahe Osten.“ Die Abneigung gegenüber
Juden, wie sonst überall in Arabien anzutreffen, ist den Tobou fremd. „Wir
würden uns freuen, Nachkommen der alten Stämme Israels zu sein. Wir
haben kein Problem mit dem Judenstaat, dort herrscht wenigstens
Freiheit“, sagt Mahmoud nachdenklich. „Jerusalem ist ihre Hauptstadt, es
steht im Koran geschrieben – aber unsere arabischen Freunde verstehen
ihre eigenen Bücher nicht.“