Libyens Ende. Rein geografisch. Südlicher als in Tullab, einer der 4
Kufrah-Oasen, wohnt niemand mehr. Nicht mal die faustgroßen
Skorpione. Am Rande der weiten Wüste scheint die Zeit stehen
geblieben. Die Zufahrtstraße ist so verwittert, dass Geländewagen
lieber durch den Sand preschen. Und ausgerechnet hier weht sie noch:
Die grüne Flagge Muammar al Gaddafis.
+ In Kufrah ist man sich nicht grün +
Das mit gleich mehreren Staatsfahnen geschmückte Einfamilienhaus ist
nicht mehr als ein einfacher Steinbau mit Holzbrettverschlägen. Nachfahren schwarzafrikanischer Sklaven leben darin – aber zugehörig fühlen sie sich dem arabischen Sway-Klan. Plötzlich: Das Quietschen
einer Tür. 4 Frauen und 3 Mädchen treten nach draußen. „Allah,
Muammar, Libyen – sonst nichts“, skandieren sie, die Fäuste gen Himmel
gereckt. Beinahe witzig. Doch plötzlich greifen sie nach Steinen. Das
Gekreische und der Hagel an Wurfgeschossen und Dreck kann nur eines
bedeuten: Westliche Ausländer mag man hier offenbar nicht besonders …
Schon längst auf dem Rückweg, haben auch noch die Männer des Hauses die Verfolgung aufgenommen. Wieso man ihre Frauen belästige,
ereifern sie sich. Rebellen klären die Situation. „Wir können gegen
solche Menschen nichts machen“, sagen sie anschließend. „Sie sind nun
mal unsere Brüder.“
Den Pro-Gaddafi-Parolen an einigen Mauern in der Hauptoase Juhf zu
urteilen, spielen noch ganz andere Beweggründe eine Rolle: Ein Teil der
sonst erklärtermaßen aufmüpfigen Oasen-Bevölkerung ist gegen die
Rebellion. Vielleicht auch nur, um sich von verfeindeten Familien
abzugrenzen. Aber genügend Sprengstoff ist das allemal. Viele der
Sklaven-Nachfahren hielten Gaddafi für ihren Befreier, ist zu
vernehmen. Tatsächlich waren es die Italiener, die ab 1911 dem
Menschenhandel durch die arabischen Sway und den kaffeebraunen Tobou
ein Ende bereiteten.
„Tabuhr Hams“, die „Fünfte Kolonne“, so nennen die Rebellen im
gesamten Osten Libyens die heimlichen Helfer des Regimes. Sie seien
verantwortlich für den Bombenanschlag aufs „Tibesty Hotel“ in Bengasi
oder die Raketenangriffe auf General Szagar Adam in Tobruk vor einigen
Wochen. Aber sind es wirklich nur skrupellose Schläfer oder durchgedrehte Wüsten-Fanatiker?
+ Frust, aber keine Aktivität +
Nahe einer verfallenen Mangofarm wohnen mehrere Angehörige des
weißen Sway-Klans. „Wir hatten Geld, Klimaanlagen, kaltes Wasser und
gutes Essen – aber seit Februar haben wir nichts mehr“, regen sie sich
auf. Die Posten bei Polizei und Feuerwehr hätten sie verloren, als sich
alles änderte. „Die Rebellen sind doch Räuber“, meinen die Männer und
kritisieren die Demontage technischer Geräte aus öffentlichen
Gebäuden und Firmenanlagen. Sie seien schuld am Kollaps der
Stromversorgung in der südöstlichen Wüste. „Wenn unsere neuen
Möchtegern-Herren sich weiterhin mit Drogen und Alkohol volllaufen
lassen und wahllos in der Gegend rumschießen, fließt hier bald Blut.“
Große Töne für eine Verlierertruppe.
Ein Anderer ist da weitaus ruhiger: Der Chef der nun verbotenen
„Revolutionslegion“ des Muammar Gaddafi sitzt vor seinem grossen Haus
im Juhf-Stadtteil „Sawijah-Harah Tobou“. Jummah Mali al Tobawieh,
Angehöriger der doch eigentlich so „unterdrückten“ Tobou-Minderheit,
ist ein älterer Mann in weißer arabischer Tracht. Beinahe ein Zwerg.
Kaum zu glauben, dass bis heute noch alle Angst vor ihm haben. Selbst
Rebellenvertreter verbeugen sich ehrfürchtig. Früher habe er nicht
Wenige mit seinen Berichten hinter Schloss und Riegel gebracht, heißt
es hinter vorgehaltener Hand. Gegenüber ausländischen Reportern
verleumdet er sich selbst. Ein junger „Legionär“ erscheint, um Mimik und
Gestik des Chefs zu erläutern. „Die NATO richtet einen Genozid in
Libyen an. Warum tötet Ihr unsere Kinder?“ Der junge Mann mit Namen
Hamed Tschaimy hat Schweißperlen auf der Stirn, die Augen quellen
hervor. Zeigefinger gen Himmel. Jummah Mali grinst zufrieden. Alle
Erzählungen, Gaddafi führe einen Krieg gegen das eigene Volk, wischt
er beiseite. „Macht doch eine freie Wahl – der Revolutionsführer wird
jedes Ergebnis akzeptieren“, meint er entschlossen. Die Rebellion sei von
außen gesteuert. Es gehe um die Reichtümer Libyens und die
Aufweichung der starken islamischen Kultur zugunsten des „dekadenten
Kapitalismus“.
Die gestellten Fragen werden nicht einmal beantwortet. Gegenfragen und
Parolen, das Gespräch läuft nicht anders als jene Unterredung mit
Muammar Gaddafi selbst. Damals, am 28.09.2009 durch den CNN-Star
Larry King. Aber immerhin eines wird deutlich unter der glühenden
Sonne der Sahara: Wenn es selbst hier, im Rebellengebiet, noch so viele
Befürworter des Diktators gibt – um wie viel stärker dürfte seine
Position dann in den „grünen Wüsten-Hochburgen“ von Sirt und Sabha
sein? Darüber können auch die jüngst verkündeten Erfolge der
Rebellen nicht hinwegtäuschen: Die nun für erobert erklärten
Städte Sawijah, Suara, Garjan (Tripolitanien), Mursuk (Fessan) und
Brega (Cyrenaika) waren schon einmal in ihrer Hand. Damals, Ende
Februar 2011, als alles begann.
Eine Überraschung hat der junge Gaddafi-Eiferer Hamed Tschaimy dann
doch noch zu bieten: „Ihr Deutschen seid gut, Ihr führt keinen Krieg
gegen uns. Aber Briten und Franzosen – wir hassen sie so sehr!“ Er
verzerrt das Gesicht: „Am Liebsten würde ich mich dort in die Luft
sprengen.“